Perfektionismus - Fluch und Segen
Die Polarität unseres Strebens
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Liebe Leserinnen und Leser,

das Perfektionismus-Streben in uns ist in jedem Fall ein sehr scharfes Schwert. In vielen Fällen aber auch ein zweischneidiges. Und oft genug richtet sich die Klinge gegen denjenigen, der sie in der Hand hält.

Einerseits ist Perfektionismus die Antriebsfeder und der Energiespender, der ganz wesentliche Errungenschaften der Zivilisation hervorgebracht hat. Andererseits verkrüppeln hunderttausende an und in ihrer Psyche, weil ihnen ein Übermaß (sogenannter "dysfunktionaler Perfektionismus") weder Pause noch Genuss, weder Freude noch Triumphe gönnt.

Es wäre töricht, nur um einer möglichen Gefahr willen alles Streben und Lernen zu verdammen. Die Gefahr lauert nur dort, wo ein gesundes Maß an Antrieb überschritten wird. Und ein "gesundes Maß" meint hier wörtlich die Gesundheit, denn ein Übermaß kann zu unterschiedlichen Formen der Psychopathologie führen - von extremen Angstzuständen, Depressionen, Phobien, zwanghafter Sauberkeit, bis hin zu Kontrollzwängen, Misstrauen und ähnlich hinderlichem Verhalten.


Illusion der Sicherheit

Gerade in der heutigen Welt unter zunehmender Unsicherheit ist der Wunsch nach Kontrolle sämtlicher Fakten und Berücksichtigung möglichst aller Variablen ein verheerender Strudel, in den der Perfektionist hingezerrt wird. Und noch im Untergehen wird er die eigene Sicht als die einzig mögliche verteidigen.

Leon Salzmann, der Autor von "The Obsessional Personality", schreibt dazu:


"Es gibt guten Grund zu glauben, dass der zwanghafte Verteidigungsmechanismus die weitverbreitetste Technik ist, die es Menschen möglich macht, eine gewisse Illusion von Sicherheit in einer unberechenbaren Welt zu erlangen“.



Oft übersehen - die Außenwirkung

Die segensreiche Seite des Perfektionismus muss hier nicht ausführlicher erläutert werden.

Wichtiger ist es zu differenzieren, dass ein Innerer Antreiber "Sei perfekt" nicht nur (positive wie negative) Auswirkungen auf uns selbst hat, sondern im Berufsleben auch unsere Mitarbeiter und Vorgesetzen betrifft.

Dazu habe ich ein kleines Schaubild erstellt, welches die vier Pole des Perfektionsstrebens verdeutlicht.



Mangelnde Toleranz

Die Toleranz gegenüber anderen Vorgehensweisen, verschiedenen Sichtweisen, unkonventionellen Zugängen und gänzlich anderen Lebensentwürfen fehlt tendenziell. Denn wo es - aus der Sicht eines Perfektionisten - noch Dinge zu verbessern gibt, wird nicht akzeptiert, dass sich andere nicht ebenso um diese Dinge annehmen. Überspitzt könnte man sagen: ein Perfektionist sieht selbst seine eigene Lebensphilosophie als die einzig mögliche und perfekte Form an.


Kreativitätskiller

Die Fixierung auf die eigene (perfekte) Sicht verhindert zwangsläufig auch, andere Lösungswege zuzulassen. Dies aber ist eine der Kernforderungen, um Kreativität in einem Team zuzulassen oder zu fördern. Sosehr ein Perfektionist die beste aller Lösungen sucht, sosehr steht er sich dem Finden selbst im Wege!


Perfektionismus als Energieräuber

Irgendwann geht jedem Perfektionisten die Energie aus, weil immer und überall noch etwas nachgebessert werden kann - und muss! Wer aber niemals den Augenblick genießen kann, niemals die getroffene Entscheidung (und damit zwangsläufig den Verlust der nicht-getroffenen Wahl!) akzeptiert und sich niemals unter Unsicherheit zufrieden zurücklehnen kann, der ist mehr als andere vom Ausbrennen bedroht. Es gibt deutliche Hinweise anzunehmen, dass "Burn-Out" unter dem Diktat des Perfektionismus besonders häufig auftritt.


Emotionen werden vernachlässigt

Perfektionisten hören nicht auf ihr Bauchgefühl. Alle Möglichkeiten werden rational bis ins kleinste Detail überlegt und geprüft - ein für Mitmenschen oft unerträglicher und abstoßender Wesenszug. Er zeigt sich vor allem darin, dass Entscheidungen immer und immer wieder hinausgezögert und nicht getroffen werden. Dass dieses zögerliche Verhalten allgemeinen Führungsanforderungen entgegensteht, dürfte einleuchten.


Soziale Ausgrenzung

Denken Sie jetzt mal an Ihre eigene Schulzeit zurück. Denken Sie an jene KlassenkameradInnen, die als "StreberIn" und "Klassenbeste/-r" bekannt waren.
  • Stimmt es, dass deren Ehrgeiz nicht nur Auswirkungen für sich selbst, sondern auch auf die Akzeptanz in der Klassengemeinschaft hatte?
  • Ist es zutreffend, dass sie wie Fremde unter ihresgleichen behandelt wurden?
Wahrscheinlich ist dies eine der ersten Erfahrungen in unserem Leben, dass Perfektionismus von anderen nicht lange unentdeckt bleibt - ebensowenig in der Schule wie später in beruflichen Organisationen oder privaten Vereinen.

Zugegeben: es ist eine ständige Gratwanderung zwischen wünschenswertem Wissen und übertriebener Recherche, zwischen guter Vorbereitung und unsinnig-aufwendig erhobenen Fakten, zwischen charmant aufgelisteten Daten und krampfhafter Vollständigkeit.


Arbeit gegen den eigenen Perfektionismus - ist das möglich?

Der eigenen Natur etwas entgegenzusetzen, ist niemals einfach.
Ratschläge von außen sind zwar zahlreich, aber deplatziert. Ein Patentrezept für die Arbeit gegen einen übertriebenen Perfektionismus kann und soll es hier auch nicht geben, das könnte den vielen Formen und der Ernsthaftigkeit in einzelnen Fällen nicht gerecht werden.

Stichhaltige Gründe für eine Balance zwischen Aufwand und Ertrag sind beinahe endlos bekannt und auch an praktischen Erfahrungen mangelt es nicht. Lesen Sie dazu im Anschluss an diesen Beitrag auch "Das Pareto-Prinzip". Wer den eigenen übertriebenen Perfektionismus also verteidigt, handelt objektiv zwar irrational, ist aber für diese Argumente nicht mehr zugänglich.

Weniger "schweren" Fälle mag dieses schöne Beispiel eine Anregung sein, das eigene Streben zu überdenken und in sinnvollere Bahnen zu lenken.

David Burns berichtet in seinem Buch "Feeling good" von diesem eindrucksvollen Beispiel:
Als er zu joggen begann, nahm er sich vor, jeden Tag eine kürzere Strecke zu laufen als am Vortag. Gestern 1 Kilometer, heute 800 Meter und morgen 600 Meter. Dieses Ziel war gut zu erreichen, also war er immer erfolgreich und das beflügelte ihn so sehr, dass er locker noch ein Stück weiter laufen konnte.


In jedem Fall sollte der Ausgangspunkt aber sein, den eigenen Antrieb zu kennen und von sich selbst zu wissen, welcher Motivationsstruktur man unterliegt.

Eine empfehlenswerte und objektive Möglichkeit zur Feststellung der Ausgeprägtheit des Perfektionismus (und der anderen Kräfte) ist der ausführliche Test
"Unsere inneren Antreiber".
  Feeling Good: Depressionen überwinden, Selbstachtung gewinnen



Lassen Sie - wenn es Ihnen möglich ist - der Gelassenheit ein wenig mehr Raum und genießen Sie es, wenn sich mit deutlich weniger Energie oft genau dieselben oder sogar bessere Ergebnisse einstellen.

Viel Erfolg dabei wünscht Ihnen

Dr. Peter Troy

http://www.topos-online.at



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